Heiner Müller ist ein Säulenheiliger. Peter Hacks ist fast vergessen. Ronald Weber ergründet seine Biografie: „Peter Hacks. Leben und Werk“. Erschienen ist das Buch 2018, entdeckt habe ich’s erst jetzt. Es handelt von “Hacks’ Literatur, von seinem Versuch, eine neue Klassik zu begründen, wie von seinem Scheitern, von seinen Leidenschaften und von seinen Lieben“. Na wenn das kein Leseversprechen ist.
Hacks, da war doch was. Die Frau und Gefährtin zitiert aus dem Gedächtnis: “Immer wenn es regnete, langweilte sich Leberecht. Immer wenn er sich langweilte, setzte er sich ans schiefe Fenster. Merkwürdig, dachte Leberecht. An diesem Fenster regnet es immer.” Sie liebt Leberecht am schiefen Fenster und hat die Zeilen auch 25 Jahre nach dem ersten Vorlesen parat. Das Buch ist eines der herrlichen Kinderbücher Peter Hacks’. Berühmt wurde der Dichter aber mit Theaterstücken. Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe war in Ost wie West geschätzt und ist eines der erfolgreichsten deutschen Bühnenwerke des 20. Jahrhunderts, womöglich sogar das meistgespielte.
Vom sozialistischen Klassiker zum bei seinem Tod 2003 fast vergessenen linken Nischenautor – in einer überaus lesenswerten Biografie spürt der Journalist und Philologe Ronald Weber Peter Hacks’ Leben und Werk hinterher. Geboren und aufgewachsen in Breslau, Abitur in Wuppertal, Studium und Promotion in München, erste Meriten als Autor fürs Radio und Kabarett, Kontakte zu Brecht, Thomas Mann, Kästner, 1955 Übersiedlung mit seiner lebenslangen Ehefrau Anna Elisabeth Wiede (die einen pragmatischen Umgang mit Hacks’ häufigem außerehelichen Verliebtsein findet) in den Osten. In der DDR entwickelt sich Hacks zu einem funkelnden Intellektuellen. Trotz seiner kommunistischen Haltung wird er auch im Westen akzeptiert. Bis zu Biermanns Ausbürgerung gilt er als irgendwie oppositionell. Mal sind seine Stücke verboten, mal erhalten sie Preise, hinzu kommt der ihn umgebende Hauch von bourgeoiser Extravaganz. Seine Kunst orientiert sich an der Klassik; die Romantik wie auch die Moderne sind nicht sein Fall. Die eine nicht wegen ihres gefühligen Pathos, oft dem Rückschritt verhaftet. Die andere nicht wegen ihrer Diskrepanz zwischen Effekt und Gehalt. Er hält es eher mit Goethe. Und mit Heine, der immer Ironie einwebt und damit eine Bruchkante.
Poetik oder Politik
Bereits vor der Biermann-Affäre moniert ein westdeutscher Kritiker, Hacks habe sich in einen “Elfenbeinturm der Utopie und Poesie” zurückgezogen, aber noch schreibt das Feuilleton freundlich. Das ändert sich mit Biermanns Rausschmiss aus der Deutschen Kratschen Plik, als Hacks den Protesten seine Unterschrift verweigert. Und als er Biermann Unehrlichkeit und Selbstüberschätzung vor- und Äußerungen über künstlerisches Mittelmaß nachwirft. In den älteren Biermann-Querelen Mitte der 60er hatte er sich noch einer Parteinahme enthalten. “Ich soll mich, will die Stunde, zwischen beiden / Sofort entscheiden. / Und habe aber leider keinen gerner, / Nicht den Wolf Biermann und nicht den Paul Verner“, heißt es in einem im Nachlass gefundenen Gedicht. Verner war der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin. Auch jetzt will Hacks sich eigentlich lieber heraushalten und die Dummheiten der Regierung nicht verteidigen. Und entscheidet sich um, weil im Grenzfall “Politik vor Kunst geht”. In einem Essay wirft Hacks Biermann nun vor, “das Ziel des Kommunismus doch lieber mit bürgerlichen Mitteln“ erreichen zu wollen. Biermanns Beteuerungen, für den Aufbau des Sozialismus zu sein, seien ähnlich glaubwürdig, wie wenn der Spiegel bei gleichem Inhalt künftig unter dem Namen Rote Fahne erschiene. Damit hat es sich Hacks auch mit dem Feuilleton verdorben, selbst wenn Reich-Ranicki später das Gespräch im Hause Stein seinem deutschen Kanon zuschlägt.
Das Namensregister des Buches lässt die Beziehung Hacks’ zu Kollegen nachvollziehen, zu Freunden, zu Politikern. Nach dem Umbruch 1990 ist er in näherem Gedankenaustausch mit Sahra Wagenknecht, die damals zur Kommunistischen Plattform der PDS gehört. Den Sturz Honeckers durch Krenz nimmt Hacks als “Iden des Oktober” wahr. Obwohl Honecker für Hacks eine “Nullität“ ist, ein “Idiot, den die Weltgeschichte beauftragt“, verklärt und verteidigt Hacks die DDR nach deren Ableben auf eine Weise, die er zu Lebzeiten von Springers Gänsefüßchenländchen vermieden hat. Er will sich nicht gemein machen mit den Siegern der Geschichte und all jenen, die den entmachteten alten Männern von Wandlitz hinterherspucken.
Hacks hat es vermieden, am Ende seines Lebens noch einmal mit dem Arsch an die Wand zu kommen. Was bleibt, ist klassisch gerade Kunst, betrachtet durch schiefe und gerade Fenster. Und durch eine lesenswerte Biografie.
Das Buch ist im Eulenspiegel-Verlag erschienen, hat 640 Seiten und kostet 39 Euro. Unter dem Link im vorigen Satz findet sich auch eine Leseprobe.
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