Zwei Ostgeborene sprechen miteinander über den Osten. Jana Hensel, Jahrgang 1976, ist Schriftstellerin (“Zonenkinder”), Wolfgang Engler, geboren 1952, Kultursoziologe und Publizist. Sie kramen in ihren Erinnerungen, zitieren aus dem Gedächtnis, Bücherschrank oder Internet und sind dabei oft einer Meinung. Streit entsteht bei der Bewertung von Obama, über den Zusammenhang von Sozial- und Identitätspolitik, bei der Bewertung der Asyl-Entscheidung 2015 und darüber, was die richtige linke Position ist.
Hensel ging in der DDR als Schülerin mit ihrer Mutter zu den Leipziger Montagsdemonstrationen und studierte nach der Wiedervereinigung Romanistik und Literatur. Engler ist studierter Philosoph. In der DDR arbeitete er in der Akademie der Wissenschaften und als Prorektor für Gesellschaftswissenschaften der Hochschule für Schauspielkunst. Beide können pointiert argumentieren, sind belesen und gut genug vernetzt, um ihr Gespräch zur Unterhaltung für die Leser werden zu lassen – trotz solcher völlig ernst gemeinten Sätze wie “In der Konvergenz dieser persönlicher Bestandsaufnahmen formte sich das ostdeutsche Idiom.”
Nachdem das gegenseitige Lob für bisherige Bücher gleich am Anfang abgehandelt ist, geht es zumeist uneitel weiter. Themen sind die Biografien der beiden, die Innen- und Außenwahrnehmung der Ostdeutschen, der Glücksmoment im Herbst 89 und der Kahlschlag der 90-er Jahre, schließlich Pegida und die AfD, die Entfremdung zwischen Ost und West, die Eigentumsverhältnisse, die Volksbühne, die Einwanderung. Das Gespräch tastet sich voran, wodurch es auch authentisch wirkt. Da beide sich politisch links verorten, bleibt eine Zuspitzung aus. Sie sind höflich zueinander, “nein, das sehe ich nicht so” ist schon der Gipfel des Widerspruchs, “das ist ein rechtes Argument” ein veritabler Vorwurf. Ob ostdeutsche Erfahrungen eine Rechtfertigung sein können, rechtspopulistisch zu wählen? Nein, meint Hensel. Sie verteidigt auch die Entfernung des Gomringer-Gedichts von der Wand der Alice-Salomon-Hochschule als demokratisch legitimiert, während Engler solch Reinigungsfuror an die DDR erinnert.
“Das Projekt DDR […] war zu keinem Zeitpunkt mehrheitsfähig”, sagt Engler. War das tatsächlich so? Jana Hensel resümiert, dass die DDR-Oppositionsbewegung als gemeinsames Ziel nur hatte, „das Ende der DDR, so wie sie damals beschaffen war, herbeizuführen.” Dass es d i e Ostdeutschen nicht gibt, sagen die beiden schon recht weit vorn im Buch. Was es gebe, seien gemeinsame Erfahrungen und laut Hensel eine “auf ihre Art ausdifferenzierte Gesellschaft” in Ostdeutschland.
Die ganz großen Erkenntnisse bleiben aus in diesem Buch. Lesenswert ist es dennoch. Es regt dazu an, in den eigenen Erinnerungen zu forschen, um die Positionen der Autoren zu bestätigen, zu hinterfragen oder zu widerlegen.
Das Buch ist im Aufbau-Verlag erschienen, hat 288 Seiten und kostet 20 Euro.
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